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Nachruf auf meinen Freund René Ullmann

von Klaus Antons



Unsere Freundschaft begann im Herbst 1982 in einem Interventionsseminar, das ich im Rahmen der ersten ZAP-Gruppenleiterfortbildung zusammen mit Bert Voigt in Löwenstein leitete. Als Trainer/in unter Supervision waren Gisela Jungfer und René Ullmann dabei. Als Ergebnis unserer intensiven Staff-Gespräche entstand der wegweisende Artikel über Interventionen in Gruppen.



Es ging weiter damit, dass René mich zu meinem ersten Seminar in der Schweiz einlud. Diese berufliche Ebene war dann für ein gutes Jahrzehnt die hauptsächliche Verbindung zwischen ihm und mir; die Freundschaft wuchs in dieser Zeit stetig. Gisela, die dann bald Ullmann-Jungfer hieß, und René waren die Wegbereiter für die SAAP (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Angewandte Psychologie, ein Schweizer Pendant zum Nürnberger ZAP), die für zwei Jahrzehnte das gruppendynamische Geschehen in der Schweiz bestimmte. René war zwar selten in der Sektion und später in der DGGO anwesend, aber ein wichtiges Mitglied im Hintergrund, das die heute quantitativ wie qualitativ so bedeutende Beziehung zwischen Deutschland und der Schweiz wesentlich geprägt hat.



René war der erste Trainer in der damaligen Sektion Gruppendynamik, der, mit einem kräftigen Zuspruch meinerseits, als Interventionsarbeit einen Organisationsentwicklungsprozess darstellte. Die OE hat, mehr noch als die Gruppendynamik, seinen beruflichen Weg bestimmt; sein Spektrum reichte dabei von Daimler über Heidelberg bis hin zu den Prozessen, die er in den letzten zwei Jahrzehnten am liebsten machte: katholische Nonnenorden, die keinen Nachwuchs mehr haben, in ein würdiges Ende zu begleiten.

Zusammen mit Werner Zbinden hat er die OE-Ausbildung der SAAP über zwei Jahrzehnte geleitet. Die beiden waren bekannt für ihre absolut unkonventionelle Art, Lernen zu ermöglichen; zuletzt haben sie einige Generationen Organisationsentwickler in Afrika ausgebildet, wo statt Tagungshotel-Equipment ein Stock reichen musste, um die erforderlichen Diagramme in den Sand zu zeichnen.

Dieses sein berufliches Engagement hat auch seine Schattenseiten gehabt, die aber weniger ich als seine Familie zu spüren bekam: mit seinen ständigen Abwesenheiten war er ein seltener Partner und Vater.



Bergtouren mit René Ullmann                        





 

 

 









 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit 1993 haben wir regelmäßig gemeinsame Bergtouren unternommen, als ersten Berg den Camoghè, den René kurz vor seinem Lebensende noch gemalt hat. Damit begann eine lange Spanne unserer Freundschaft, die bis zum Herbst 2019 dauerte. Bei den Gletschertouren im Berner Oberland war noch ein Dritter für die Seilschaft dabei, meist aber waren wir zu zweit unterwegs. Bei unseren Wanderungen konnten wir stundenlang schweigend miteinander gehen, aber auch intensivste Gespräche über Zeugen Tessiner Frömmigkeit, über Martin Buber, einen OE-Prozess oder über eine bestimmte Blume führen – letzteres, nachdem er noch eine Weiterbildung als Wanderleiter gemacht hatte.



Unser letztes großes Bergabenteuer war 2018, wo wir mit seiner genialen Logistik und allerneuester GPS-Technik einmal rund ums Puschlav gelaufen sind. Die letzte gemeinsame Reise war dann im September 2019 – nicht mehr, wie bisher, von Hütte zu Hütte, sondern in einem Hotel in Arosa. Bereits gezeichnet von seiner Krankheit gab es keine Höhenmeterrekorde mehr, sondern mit der Bergbahn hoch und ganz langsam zu Fuß wieder runter in den Ort. Die Hoffnung auf Wiedergenesung hat bei ihm lange gehalten; noch am 27. 11. 2020 schrieb er mir:

Viele Gedanken und Wünsche von vielen FreundInnen und KollegInnen unterstützen mich in meiner ungemütlichen Situation. Der Gedanke, es könnte zu spät sein für irgendetwas ist ein schwieriger. Vielleicht impliziert er, ein / mein Zustand könnte, falls nicht zu spät, wieder so werden wie früher... das wird sicher nicht annähernd der Fall sein. In diesem Lernprozess bewege ich mich mittendrin. Z.Z. sind Gisela und ich in Vellano. Ich geniesse kleine Spaziergänge, die Sonne auf dem Balkon und die Nachbarschaft.



René war mir ein wichtiger Kollege und Freund, dessen allzu frühes Sterben manche Pläne für zukünftige Bergtouren ins Reich der unerfüllten Träume verweist. ich habe ihn als einen überaus vielseitigen, dadurch auch nicht immer einfachen Menschen geschätzt. Ich trauere sehr um ihn, bin gleichzeitig dankbar für das viele, das ich von und mit ihm zusammen lernen durfte.



Geboren und aufgewachsen ist René in dem idyllischen Thurgauer Städtchen Bischofszell, und zwar in einer Gastwirtschaft. Seine Kontaktfreudigkeit kannte kaum Grenzen, Begegnung und Austausch waren ihm immer ganz wichtig. Im Austausch mit dem Gegenüber hat er auch immer zu sich selbst gefunden.

Beim Militär war er beim Tross, der Bergkavallerie; ein schwerer Sturz vom Pferd mit bleibenden Rückgratschäden beschäftigte ihn sein weiteres Leben lang. Zunächst wurde er Lehrer, um dann – wie nicht wenige seiner Alterskohorte – auf Psychologie umzusteigen. Eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten hat ihn wohl ebenso sehr geprägt wie die spätere zum Trainer für Gruppendynamik. Er hat sich sehr bald selbständig gemacht.

Von Bischofszell wechselte er nach Zug, wo er bis zuletzt gelebt hat – seit etwa 2o Jahren in einem schönen Haus oberhalb der Stadt, wo auch die beiden Kinder groß wurden. Vor zweieinhalb Jahren begannen die Schmerzen, die er zunächst mit seiner Rückenläsion in Verbindung brachte, die sich aber bald als ein Krebsleiden herausstellten. Am 30. März 2021 in der Karwoche konnte er wie gewünscht zu Hause einschlafen. Ich schreibe diesen Text am Ostersonntag: Tod und Auferstehung…

Klaus Antons

 

Der Vorstand der DGGO dankt Klaus Antons für den Nachruf auf René Ullmann

 

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